Es ist toll, mit einer genetischen Disposition einer hohen Beweglichkeit gesegnet zu sein. Im Geräteturnen beispielsweise, hat mir persönlich eine gewisse "Grundbeweglichkeit" das Leben erleichtert. Aber: vorbei sind die Zeiten, als ich bei der Spagat-Challenge mitmachen wollte. Denn wenn wir den Fakten auf den Grund gehen, tut Beweglichkeit in einem gesunden Mass gut, es kann aber auch zu viel des Guten sein. Zudem: um die Beweglichkeit - gerade im Bezug zur Yogapraxis - drehen sich viele Mythen und ich durfte im Verlauf meiner Ausbildung einiges dazu lernen. Davon möchte ich dir etwas mitgeben.
Es fällt schon auf: viele, die ins Yoga kommen, möchten vor allem beweglicher werden. Vielleicht orientieren sie sich an "Vor- oder Idealbildern", welche sich weit weg von der gesunden Realität bewegen. Was ich aber viel wichtiger finde und in den Yogalektionen mitgeben möchte:
Erstrebenswert ist eine muskuläre Balance,
ein gesundes Gleichgewicht der Muskeln,
nicht aber die eine unangemessene Muskelelastizität.
Und wie verläuft der Weg zu einer gesunden Beweglichkeit? Eine regelmässige Praxis, bei der der Bewegungsradius ausgeschöpft und dynamisch "gepflegt" wird, bewirkt genau das, was wir für die Gesunderhaltung des Körpers benötigen. Heisst konkret, dass einfache, dynamische Abläufe in der Regel bereits zum Ziel einer angemessenen Flexibilität führen. Manchmal nimmst du es vielleicht in der Lektion kaum bewusst wahr, aber bereits einfache Armbewegungen, dynamische Vor- und Rückbeugen tragen genau zu dieser Beweglichkeit bei, die wir anstreben. Nicht mehr. Nichts Kompliziertes.
Dehn-Bilder - immer schöne Eye-catcher.
Einfache Grundregeln für die Yogapraxis
Die Botschaft hört sich positiv an: du benötigst keine intensiven Stretcheinheiten, keine minutenlangen Kämpfe am Limit. Es geht so viel einfacher:
Beweglichkeit darf dynamisch geübt werden
Der Bewegungsradius soll ausgeschöpft werden
Langsam und bewusst ausgeführt, verringert sich die reflektorische Kontraktion* und das Verletzungsrisiko ist kleiner
Regelmässigkeit steht vor sehr hoher Intensität
Einfach Regeln, die sich einfach einhalten lassen.
Die Krux mit der langfristigen Wirkung
Aus meiner Sicht der grösste Mythos und sogleich der wichtigste Vorbehalt gegenüber dem Dehnen, liegt in der mittel- und langfristigen Wirkung: ist dir bewusst, dass durch eine hohe Beweglichkeit die Muskeln gar nicht "länger, weicher und elastischer werden", sondern eher im Gegenteil? Die Muskeln werden fester und verlieren an Elastizität. Vereinfacht beschrieben ist das so, weil sich das Gewebe nicht strukturell verändern lässt. Sakromere - also Muskeln - lassen sich nicht "verlängern". Jedenfalls konnte das trotz intensiven Forschungsbemühungen bisher nicht nachgewiesen werden.
Und noch ein wichtiger Punkt liegt mir am Herzen: Dehnen belebt die Muskulatur und entspannt kurzfristig. Das weckt Wohlgefühle, denn die Durchblutung ist angeregt. Diese angenehmen kurzfristigen Gefühle jedoch - so rate ich jeder Yogini und jedem Yogi - sind immer auch an den Tagen danach kritisch zu beobachten. Denn Dehnen kann nicht so einfach chronische Verspannungen oder muskuläre Dysbalancen "lösen". Die Wahrheit ist komplexer.
*Reflektorische Kontraktion: unwillkürliche Dehn- bzw. Schutzspannung
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